Montag, 27. Februar:
Auf der langen Autofahrt durch den Morgen über Land konnten wir uns noch etwas sortieren und letzte Absprachen treffen. Nun betreten Annette und ich die Paracelsus-Schule am Friedrichsplatz in Kassel. Wir schleppen eine schwere Kiste mit Papieren, Desinfektionsmitteln, Spritzen, Büchern; Annette trägt auch noch mehrere beschriftete Rollen Flipchart-Papier und ich habe noch den Rucksack mit dem Beamer auf dem Rücken. Man sieht gleich, dass wir etwas Größeres vor haben. Und tatsächlich: Heute beginnt der „ultimative“ Intensiv-Crash-Kurs zur Vorbereitung auf die Heilpraktikerprüfung – immerhin eine der fünf anspruchsvollsten Prüfungen in Deutschland. Und zurecht: wer sie besteht, hat die Heilerlaubnis. Das verpflichtet zu Wissen, Sorgfalt und Qualität.
Langsam kommen auch die Teilnehmer an, einige kennen wir, denn sie sind unsere Studenten, einige Gesichter sind neu, manche haben eine lange Anreise hinter sich. Dann können wir beginnen: sechzehn hochmotivierte Student/inn/en blicken uns erwartungsvoll entgegen und vielleicht ist ihnen auch etwas mulmig zumute, wenn sie daran denken, dass jetzt eine ganze Woche intensiven Miteinanders, intensiven Lernens beginnt, wo jeder sich mit seinen besonderen Stärken einbringen wird.
Wer will wann die Prüfung ablegen? Wer geht zu welchem Prüfungsamt? Wer hat mit der Prüfungssituation schon Vorerfahrungen, wer nicht? Diese Fragen klären wir gleich, dann geht es los: Schriftliche Prüfung, 60 Fragen, statt zwei Stunden geben wir nur 30 Minuten – schließlich ist es ja ein Intensiv-Kurs. Dann besprechen wir die ersten 12 Fragen, auch um uns alle etwas besser kennen zu lernen. Diese Prüfungsfragen werden uns die ganz Woche noch begleiten.
Und schließlich eine große Herausforderung an den Mut unserer Teilnehmer/innen: Wir laden sie zu einem spontanen „Individualquiz“ ein – man könnte es auch „Mündliche Prüfung“ nennen. Annette und ich bilden zwei Gruppen und prüfen jeder drei Freiwillige zu Originalbedingungen: Der Prüfer holt die Anwärterin auf dem Gang ab, stellt ihr die „Prüfungskommission“ vor, fragt, ob er/sie sich körperlich / seelisch in der Lage sieht, diese Prüfung zu machen – und dann geht es los: Fehler aus der Schriftlichen, Fallbeispiel , Anatomie, Physiologie, Pathologie. Insgeheim bewundere ich den Mut der Menschen die da vor mir sitzen. Und auch meinen eigenen. Immerhin, es ist Rosenmontag, ich habe eine Verkleidung mitgebracht: eine Krawatte zum Anklipsen – ich spiele einen Prüfer.
Nach der Mittagspause geht es in die Lehrpraxis:
Wir machen Gymnastik: Handfläche auf Handfläche, sechsmal, Handfläche auf Handrücken, sechsmal, Hände mit gespreizten Fingern, Hände kneten, Daumen drehen und Fingerkuppen in der Hohlhand bewegen – alles sechsmal: wir üben die hygienische Händedesinfektion. Dann legen wir venöse Zugänge – und freuen uns, wenn wir treffen. Im Notfall muss das dann auch klappen – und wird es auch.
Nach weiteren Stunden mit Differentialdiagnose und Pathologie trennen wir uns für diesen Tag. Die Teilnehmer sind ein wenig regenerationsbedürftig. Und wir auch. Es war ein reicher Tag, viele Eindrücke, Erlebnisse, neue Menschen. Viel Mut, viel Interesse und viel Einsatz. Mit Neugier erwarten wir den zweiten Tag.
Dienstag, 28. Februar: zweiter Tag des Prüfungs-Vorbereitungs-Marathons
Erstaunlich frisch treffen wir uns alle wieder. Annette ist heute nicht dabei und wird in den kommenden Tagen in der Praxis bei den Patienten dringend gebraucht. Die Morgengeymnastik – hygienische Händedesinfektion – läuft schon geschmeidiger. Zur simulierten mündlichen Prüfung, dem „Individualquiz“ kommen die Meldungen heute etwas zögerlicher – die Erfahrungen von gestern wollen noch verarbeitet werden; doch nach Augenblicken des Zauderns finden sich drei Kandidat/inn/en mit Mut zum Risiko.
Heute lernen die Kursteilnehmer, wie man eine ABC-Liste erstellt: eine Lerntechnik, die auf den humanistischen Universalgelehrten und Theologen Raimundus Lullus zurückgeht (13.Jh., Palma de Mallorca) und später von der deutschen Management-Trainerin Vera F. Birkenbihl wiederentdeckt wurde. Es erinnert etwas an „Stadt-Land-Fluss“: zu einem vorgegebenen Thema trägt man alles, was einem einfällt, in eine alphabetische Liste ein. Der Zeitrahmen dafür ist mit wenigen Minuten eng gesteckt. Eine bewährte Übung, um Fachsprache zu aktivieren, alles mit allem zu vernetzen und Neugier zu stimulieren, über den ein oder anderen Begriff doch noch etwas mehr zu erfahren. Ich baue die ABC-Liste ins „Individualquiz“ein und zeige den überraschten Teilnehmer/inne/n, wie man kreativ damit üben kann.
Das besondere Highlight des Tages sind für mich die Flipcharts, welche die Student/inn/en im Team erstellen: Jedes Team bekam ein Thema zur Anatomie/Physiologie oder Pathologie und 30 Minuten Zeit, dazu eine Flipchart-Präsentation zu erstellen. Nach Ablauf der halben Stunde versammeln wir uns im Großen Unterrichtssaal zur „Vernissage“. Leider gibt es weder Sekt noch Canapés. Das ist zu bedauern, aber unsere Schulküche ist noch nicht so weit. Stattdessen gibt es mit großer Phantasie erstellte, teilweise leidenschaftlich vorgetragene Präsentationen zur Anatomie des Herzens oder zur Pathologie des Blutes. Bei meinen kurzen Stippvisiten in den Arbeitsteams erlebte ich viel Sportsgeist und konzentriertes Miteinander – genau das richtige Klima für Lernen und Potentialentfaltung.
Ich bin mit diesem Tag sehr zufrieden und gespannt auf morgen.